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Die wechselvolle Geschichte einer alten Windmühle

Im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts wurde das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach von einer Energiekrise heimgesucht, welche die Versorgung der Untertanen mit dem täglichen Brot bedrohte. Lange Zeit hatte es nur wenig Niederschlag gegeben, so dass viele Wassermühlen kaum noch arbeiten konnten. In dieser Zeit entsann man sich einer anderen Energiequelle, die allerdings auch ihre Launen hat: der Wind. Der Großherzog förderte durch Technologietransfer den Bau von Windmühlen, die plötzlich auf vielen Hügeln entstanden – so etwa wie heute die zahlreichen dreiflügeligen Windräder. Auch der Wassermüller von Hopfgarten, Johann Kaspar Seidler, suchte im September 1836 beim

„gnädigstregierenden Landesfürst und Herrn um Erlaubnis nach, auf einem ihm gehörigen Grundstück in dortiger Markung eine Windmühle erbauen zu dürfen, da er seine, mit schweren Erbzinsen belastete Mahlmühle bei dem geringen Wasserstande fast gar nicht betreiben könne, der Mangel fördernder Mühlen aber sowohl in Hopfgarten als auch in den benachbarten Orten fühlbar sein.“

 
     
     
       
       
   

Faksimile des Antrages


Der gnädigstregierende Landesfürst zögerte offenbar nicht die Erlaubnis zu erteilen, denn schon 1838 war die Windmühle fertig, wie die Jahreszahl in der Wetterfahne belegt, auf der ein Greif seine Pranke kühn dem Wind entgegenreckt. Johann Kaspar Seidler hatte sich für eine Holländerwindmühle entschieden, ein fortschrittlicher Mühlentyp, bei dem auf steinernem Turm die Kuppel mit dem Flügelkreuz durch eine sogenannte Windrose automatisch gegen den Wind ausgerichtet wird.

 
     
     
       
   

Auf der Ostseite der Windmühle entstand ein kleiner Dreiseithof, der mit Wasser aus einem 15 m tiefen Brunnen versorgt wurde. Damit hatte sich der Wassermüller von Hopfgarten eine neue Existenzgrundlage geschaffen. Seinem Handwerk konnte er übrigens mit einem erstaunlich flexiblen Gewerberecht nachgehen, denn im „Handbuch des Müllerrechts“ aus dem Jahre 1829 heißt es unter § 135: „Windmühlen gehen nicht beständig, sondern sind von der mehr oder weniger starken Bewegung der Luft abhängig. Daher nimmt man auch an, dass das Mahlen der Windmüller an Sonn- und Feiertagen nicht für verboten geachtet werden kann.“

 
     
     
       
   

Fast neunzig Jahre drehten sich die Flügel der Hopfgartener Mühle im Wind, bis der Siegeszug des Elektromotors in Deutschland das große Windmühlensterben einleitete. Um seine Familie in den schweren Zeiten der Weltwirtschaftskrise zu ernähren, musste sich der Müller einen ganz neuen Broterwerb einfallen lassen. Er pflanzte eine Hecke aus Maulbeerbäumen (die heute noch auf dem Grundstück stehen) und versuchte Seidenraupen zu züchten. Mehr Erfolg hatte er jedoch mit der Zucht von Blumensamen; bald blühte es auf den Feldern rund um das Mühlengrundstück in allen Farben, und die Samen wurden bis nach Amerika exportiert.

 
     
     
       
   

Dann kamen der zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit mit der Besetzung Thüringens durch die Rote Armee. Die einsame Lage der Windmühle wurde zur Gefahr für dessen Bewohner; nachdem der Müller von einem Rotarmisten ins Bein geschossen wurde, gab die Familie das Grundstück auf und ging nach dem Westen. Eine MAS (Maschinenausleihstation) versuchte das Objekt zu nutzen, zog aber wegen des fehlenden Stroms bald wieder aus. Es begann eine lang anhaltende Phase des Niedergangs. Die Gebäude des Gehöfts wurden von Bewohnern der Nachbarorte zur Gewinnung von Baumaterial genutzt, bis nur noch von Holunder und Brennnessel überwucherte Schutthaufen übrig waren. Die Windmühle stand zwar noch, aber ihr Dach war undicht und so drohte auch ihr der Untergang.

 
     
     
       
   

Doch 1975 zog jemand in den steinernen Turm ein, obwohl es dort keinen Strom, kein fließendes Wasser und noch nicht einmal eine Heizung gab. Dem Physiker Wulf Bennert hatte die staatliche Wohnraumlenkung in Weimar ein so schlimmes Quartier zugewiesen, dass er die Schwierigkeiten und die frische Luft der Windmühle dem Gestank der Weimarer Wohnung vorzog. Er befestigte den Weg, installierte eine Umluftheizung, baute ein kleines Windrad und nutzte dessen Energie für Beleuchtung, Fernsehen, Kühlschrank und Wasserversorgung. 1978 traute ihn der Ottstedter Bürgermeister als Standesbeamter in der Windmühle mit Eva-Maria Domres, die mit ihm zusammen die Zivilisationsgeschichte der Menschheit im Zeitraffer durchlebt hatte. Dann kamen zwei Kinder, und in der Windmühle wurde es zu eng. Nach nervenaufreibenden Kämpfen mit den Behörden erhielt die Familie schließlich die Genehmigung, das alte Müllerwohnhaus wieder aufzubauen, allerdings mit der Auflage, es durch einen Gang mit der Windmühle zu verbinden, damit das Ganze als „Um- und Ausbau des Eigenheims Windmühle“ gelten konnte.

 
     
     
       
   

Die Wende von 1989/90 brachte nicht nur verbesserte Möglichkeiten für die Instandhaltung der Windmühle, die nun eine Dachdeckung aus Walzblei erhielt, sondern auch eine Erbengemeinschaft mit Nachkommen des letzten Windmüllers aus dem Westen, die umfangreiche Restitutionsansprüche stellten. Erst als die Anspruchsteller in einem Prozess gegen das Land Thüringen vor dem Oberverwaltungsgericht unterlagen, wusste die Familie Bennert, dass sie auf dem Windmühlenhügel wohnen bleiben durfte.

 
     
     
       
   

So verliefen Kindheit und Jugend von Sabine Bennert weiter mit recht weit entfernten Nachbarn aber mit großer Nähe zu Hunden, Katzen, Turmfalken, Eulen, Igeln und Pferden. Der Geist des Ortes hat sie offenbar so sehr geprägt, dass sie den Versuch eines Wohnens in der Stadt schon nach anderthalb Jahren beendete und wieder in das Haus mit Blick in alle vier Himmelsrichtungen zurückkehrte.